Verfassung und Verwaltung der Helvetischen Republik

 

Organe der Helvetischen Republik

Zum Verständnis der helvetischen Verfassung und der Verwaltungsstruktur sind im Folgenden nach einer graphischen Übersicht die wesentlichen Organe und ihre grundsätzlichen Kompetenzen aufgelistet:

 

Quelle: Siehe Anm. 3.

 

Legislative

Die Legislative existierte als Folge des zentralistisch angelegten Staatsgebäudes nur auf höchster helvetischer Ebene und wurde auf indirekte Weise durch Wahlmänner bestimmt.[1] Sie bestand in Analogie zur französischen Direktorialverfassung aus zwei Kammern, dem Grossen Rat und dem Senat. Im Grossen Rat waren zu Beginn acht Repräsentanten pro Kanton vertreten. Später sollte die Zahl der Mitglieder relativ zur Bevölkerungsverteilung stehen. Der Grosse Rat entwarf Gesetze und Beschlüsse, über welche der Senat abstimmte. Dieser bestand aus je vier Abgeordneten pro Kanton und später auch aus ehemaligen Direktoren.[2]


Judikative
Die Angehörigen der Gerichte sollten - genau so wie die Legislative - vom Volk bzw. von der Wahlmännerversammlung gewählt werden. Männer, die mindestens 20 Jahre alt waren und seit fünf Jahren in einer Gemeinde wohnten, durften an Urversammlungen teilnehmen und dort die Wahlmänner bestimmen. Die kantonalen Wahlmännerversammlungen repräsentierten 0.5 Prozent der Aktivbürger.[3] Im Obersten Gerichtshof war ein Richter pro Kanton vertreten. Die Exekutive hatte - entgegen des Prinzips der Gewaltentrennung - jeweils den Präsidenten des Distriktsgerichts, des Kantonsgerichts und des Obersten Gerichtshofs zu ernennen.[4]

 

Exekutive
Das Vollziehungsdirektorium erhielt als oberste exekutive Gewalt gegenüber der Legislative und der Judikative politische Privilegien. Beispielsweise konnte es die Gesetzgebenden Räte zur Beratung vorgegebener Themen verpflichten.[5] Die Direktoren nahmen sich einer Grosszahl unterschiedlicher politischer Probleme an und delegierten die Geschäfte nur zögerlich. Dementsprechend gab es innerhalb des Direktoriums keinerlei departementale Aufteilung und Spezifizierung. Die Direktoren versuchten die anstehenden Beschlüsse möglichst schnell voranzutreiben, wie aus einem Bericht einer Senatskommission hervorgeht: „Das Directorium fasst in seinen alltäglichen, gewöhnlich 8 Stunden lang dauernden Sitzungen 50-80 Beschlüsse mit Inbegriff der Depeschen […]. Viele dieser Beschlüsse und Depeschen sind dringend und müssen also auf der Stelle oder im Laufe des Tages, alle aber innert 24 Stunden verfertigt werden […]. 4 Secretärs sind gewöhnlich den ganzen Tag, von 7 Uhr morgens bis 8 Uhr Abends, nicht selten auch einen Theil der Nacht hindurch beschäftigt.“[6]

 

Fankhauser (1993) bezeichnet die Minister als „fachtechnischen Vollzugsapparat“.[7] Stapfer bestätigt in einem Brief an den Berner Kirchenrat vom 1. November 1799 diese Perspektive, indem er den Wirkungskreis und die Kompetenz eines Ministers aus erster Hand beschreibt: „Insonderheit darf nicht übersehen werden, dass ein Minister keine selbständige Person ist. Er ist blos das Vorbereitungs- und Vollziehungsorgan der Entscheidungen des Direktoriums in Sachen seines Departements. Wenn er sein Gutachten über geschehene Anfragen vorgelegt, die Rechte der zu demselben gerechneten Personen geltend gemacht, die Art wie beide am vorteilhaftesten, vollständigsten und schnellsten befriedigt werden könnten, nach seiner besten Einsicht auseinandergesetzt, auch dann die darauf folgenden Beschlüsse des Direktoriums auf die schleunigste und mit dem Jnteresse und den Gesetzen des Staates sowohl als seines Faches übereinstimmendste Weise in Vollziehung gebracht hat, so hat er seine Pflicht erfüllt.“[8] Stapfer hielt sich vornehm zurück, sich eine tragende Rolle in der Entwicklung des Erziehungswesens anzumassen. Insofern kann durchaus die Rede von einem Fachexperten oder Generalsekretär sein, der zwar Mitgestaltungsmöglichkeiten besass, aber kaum Mitbestimmungsrecht beanspruchte.

 

Die Regierungsstatthalter waren der verlängerte Arm der Exekutive auf kantonaler Ebene und wurden von dem Direktorium gewählt. Sie waren  mit der Aufsicht über den Gesetzesvollzug in den Kantonen beauftragt. In dieser Funktion bildeten sie das Kontrollorgan der gesamten kantonalen Verwaltung und erstatteten der helvetischen Regierung stetig Bericht. Zudem verfügte der Regierungsstatthalter über ein weitreichendes Ernennungsrecht über die Unterstatthalter, die Präsidenten von Verwaltungskammer, Kantonsgericht und Distriktsgerichten, sowie die Gerichtsschreiber und öffentliche Ankläger.[9]

 

Die fünfköpfige Verwaltungskammer war mit der kantonalen Administration und Staatsverwaltung betraut. Ihre Mitglieder wurden von einer Wahlmänner-Versammlung jährlich gewählt. Es kam regelmässig zu Konflikten mit Gemeinden, die ihre alte Autonomie gegen die Verwaltungskammer durchzusetzen versuchten.[10] Die Verwaltungskammer stand unter der Aufsicht des Regierungsstatthalters. Konflikte zwischen diesen beiden Gremien blieben aber weitgehend aus.[11] Der Distriktstatthalter oder Unterstatthalter war für die Umsetzungen der politischen Beschlüsse und administrativen Vorgänge auf Distriktsebene verantwortlich. Fankhauser bezeichnet die Unterstatthalter in Anlehnung an Wilhelm Oechslis  Formulierung[12] für die Regierungsstatthalter als „‘Angelpunkt‘ des Regierungssystems“, „die auf dem Land wohnten und die Revolution von 1798 der Bevölkerung gegenüber zu rechtfertigen hatten“.[13] Matthias Manz geht in die gleiche Richtung, wenn er betont, dass die Besetzung der Distriktbeamtungen durch Einheimische „die lokale Verwurzelung der Bürokratie“ stärkte.[14] Die Unterstatthalter waren durch die Arbeitsfülle mehrheitlich überfordert.[15] Auf kommunaler Ebene waren die Agenten für die Aufsicht über die Gesetze und die Kommunikation zwischen Zentrum und Peripherie zuständig. Auch sie litten unter Überbelastung und Konflikten mit der Bevölkerung.[16]

 

Markus Fuchs / Michael Ruloff

 


[1] Strickler, Johannes / Rufer, Alfred (Hgg.), Aktensammlung aus der Zeit der Helvetischen Republik [ASHR] (1798-1803), 16 Bde., Bd. 1. Bern 1886-1911/Freiburg i. Ue. 1940-1966, 574.

[2] Fankhauser, Andreas, Die Zentralbehörden des helvetischen Einheitsstaates. Organisation und Funktionieren, in: Schluchter, André / Simon, Christian (Hgg.), Helvetik – neue Ansätze. Basel 1993, 35-49, hier: 47.

[3] Holenstein, Beschleunigung und Stillstand. Spätes Ancien Régime und Helvetik (1712-1802/03), in: Kreis, Georg (Hg.), Die Geschichte der Schweiz, Basel 2014, 356.

[4] Bericht einer mit der Regelung der Besoldungsverhältnisse der Exekutivkanzlei beauftragten Senatskommission vom 25. Juli 1799, zit. nach: Fankhauser, Zentralbehörden (wie Anm. 2), 45; ASHR , (wie Anm. 1), Bd. 4,  1044-1045.

[5] ASHR (wie Anm. 1), Bd. 1, 579.

[6] Fankhauser, Zentralbehörden (wie Anm. 2), 36.

[7] Fankhauser, Zentralbehörden (wie Anm. 2), 39.

[8] Stapfer, zit. nach: Luginbühl, Rudolf, Ph. Alb. Stapfer, helvetischer Minister der Künste und Wissenschaften (1766-1840). Ein Lebens- und Kulturbild. Basel 1887, 58.

[9] ASHR (wie Anm. 1), Bd. 1, 583.

[10] Bernet, Paul, Der Kanton Luzern zur Zeit der Helvetik. Aspekte der Beamtenschaft und der Kirchenpolitik. Luzern 1993, 72-83.

[11] Manz, Matthias, Zentralismus und lokale Freiräume: Die Ebene der Kantone und der Gemeinden, in: Schluchter, André / Simon, Christian (Hgg.), Helvetik – neue Ansätze. Basel 1993, 67-78, hier: 70.

[12] Fankhauser, Zentralbehörden (wie Anm. 2), 36; Oechsli, Wilhelm, Geschichte der Schweiz im neunzehnten Jahrhundert. Die Schweiz unter französischem Protektorat 1798-1813, Bd. 1. Leipzig 1903, 156.

[13] Fankhauser, Zentralbehörden (wie Anm. 2), 46.

[14] Manz, Zentralismus (wie Anm. 11), 72.

[15] Bernet, Luzern in der Helvetik (wie Anm. 10), 105-111.

[16] Bernet, Luzern in der Helvetik (wie Anm. 10), 221-229.