Philipp Albert Stapfer

 

Stapfers Lebensweg bis zum Ende des alten Bern

Philipp Albert Stapfer (* 14. September 1766 in Bern, † am 27. März 1840 in Paris) war in der Berner Munizipalstadt Brugg heimatberechtigt. Deshalb zählte seine Familie in Bern nur zu den „ewigen Einwohnern“ und war nicht regimentsfähig, d.h. vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Eine höhere politische Karriere im alt-republikanischen Bern blieb Stapfer daher verwehrt.[1] Wie bereits sein Vater und drei seiner vier Onkel durchlief Stapfer in den 1780er Jahren die Ausbildung zum Theologen an der Berner Akademie.[2] Nach Abschluss seiner Studienzeit in Bern studierte er weitere zwei Semester an der Georg August Universität in Göttingen und kehrte anschliessend auf einer Bildungsreise über Holland, England und Frankreich nach Bern zurück, wo er 1791 als Altphilologe am neuerrichteten politischen Institut in Bern zu unterrichten begann.[3] 1796 wechselte er auf den Lehrstuhl für didaktische Theologie der Akademie und ersetzte seinen Onkel, der dieses Amt lange inngehabt hatte.[4]


Philipp Albert Stapfer [5]

 

Stapfers philosophische Ausrichtung

Stapfers Pädagogik[6] und seine religionsphilosophischen Überzeugungen, die im Wesentlichen sein Denken in den 1790er Jahren prägten, waren stark von der kritischen Philosophie Immanuel Kants beeinflusst. Im Zentrum seiner Schriften aus der Spätzeit des Ancien Régimes in Bern steht die Idee der Etablierung einer „respublica ethica“, des „Reiches Gottes auf Erden“.[7] Mit expliziter Bezugnahme auf Kants Kritiken und dessen Religionsschrift entwirft Stapfer ein dreistufiges Entwicklungsmodell der Menschheit, das er aus Kants Idee des trichotomischen Seelenvermögens[8] ableitet und als wegweisend für die Erziehung jedes einzelnen Menschen sieht. Der Mensch soll dabei aus seinem natürlichen Ur-Zustand gelöst und zu einem fähigen Bürger erzogen werden. Auf dieser zweiten Stufe soll jedes Individuum dann mit dem nötigen Rüstzeug ausgestattet werden, damit es zum vollkommenen sittlichen Wesen, dem Bürger der „respublica ethica“ und eigentlichen Endzweck der Schöpfung, hinstreben kann.[9] Nebst dem pädagogischen Nutzen ging es dem Berner Theologen in seiner Auseinandersetzung mit Kants Schriften nicht zuletzt auch darum, den Geltungsanspruch der christlichen Religion mittels der neuesten kritischen Philosophie zu sichern.[10] Stapfer erweitert dabei Kants betont moralischen Religionsbegriff um eigene, christlich positive Überzeugungen und macht sich auch Ideen aus dem Umfeld der Göttinger Orientalisten zu Nutze. Im Zentrum von Stapfers Religionsphilosophie steht dabei stets Jesus Christus als menschliches Abbild des Kantischen Ideals der sittlichen Vollkommenheit, das dem Menschen zur Nachahmung und Verehrung in der Bibel offenbart wurde und den er als Stifter des „ethischen Gemeinwesens“ sieht.[11]

 

Stapfers Tätigkeit in der Helvetischen Republik

Ab dem Sommer 1798 lancierte Stapfer, nun als Minister der Künste und Wissenschaften der Helvetischen Republik, die erste nationale, zentralstaatliche Bildungsreform der Schweiz. In Anlehnung an Condorcets Reformplan in Frankreich, jedoch mit einem bewusst starken Fokus auf eine Reform von unten, also der Bildung und Stärkung der Volksschulen, begann Stapfer, Ordnungspläne und Gesetzesvorlagen für das helvetische Reformprojekt zu formulieren.[12] Wie ein Leitmotiv zieht sich dabei der Gedanke durch Stapfers Schriften, den fehlenden „esprit public“, den Gemeingeist und Bürgersinn, im Volk zu wecken.[13] Das Konzept der „respublica ethica“ klingt hier sicherlich nach.
Konkret stellte sich Stapfer ein dreistufiges Bildungssystem vor, das auf der untersten Stufe öffentliche Schulen für alle vorsah. In Gymnasien und technischen Schulen sollten gemäss utilitaristischen Überzeugungen Fachkräfte für Wirtschaft und Staat ausgebildet werden und auf der obersten Bildungsstufe in einer zentralisierten Nationaluniversität Forschung betrieben werden.[14] Insgesamt kann das Wirken und Schaffen von Stapfer und seinem Mitarbeiterstab in seinen gut zwei Jahren Amtszeit zwischen dem 05. Mai 1798 und 05. Juli 1800 in fünf wesentlichen Aspekten gefasst werden.[15]

  1. Schaffung der Erziehungsräte als öffentliches Vollzugs- und Kontrollorgan der Volksschule
  2. Formulierung und Implementierung eines Schulgesetzes als Basis für das Schulobligatorium jeder Person
  3. Etablierung und Vereinheitlichung einer nationalen Lehrerbildung
  4. Datenerhebung zur Schul- und Lehrersituation mittels einer landesweiten Enquête
  5. Erwachsenen- und Volksbildung als Grundlage und Konsolidierung des „esprit public“

Stapfers Reformprojekt wurde während seiner zweijährigen Amtszeit aufgrund der politischen Unsicherheit und der notorischen Finanzknappheit in der Helvetik stets beschnitten und umstrukturiert.[16] Die heftigsten Debatten hatte der Minister aber in einem Bereich auszutragen, für den er als Minister der Künste und Wissenschaften nur implizit zuständig war: dem Bereich des Kultus. Stapfer musste als „Kultusminister“ oft zwischen einer latent religionsfeindlichen Regierung auf der einen Seite und der sich herabgesetzt gefühlten Geistlichkeit auf der anderen Seite vermitteln, da er sich bewusst war, dass sein Reformprojekt nur Aufsicht auf Erfolg haben konnte, wenn er einen Grossteil der Kleriker zur Mitarbeit gewinnen konnte. Trotz seines Engagements für die gleichberechtigte Behandlung der Geistlichkeit sah er sich von Seiten der Kirchen selber auch dem Vorwurf ausgesetzt, eine zu kantisch-moralisch geprägte Vorstellung von Religion und der Funktion der Kirche zu vertreten, was sich zwischenzeitlich in heftigen, öffentlich ausgetragenen Debatten entlud.[17]

 

Stapfers Leben nach seiner politischen Tätigkeit

Ermüdet von den politischen und religiösen Debatten liess sich Philipp Albert Stapfer am 05.Juli 1800 vom Direktorium beurlauben, was das vorzeitige Ende seiner ministeriellen Tätigkeit bedeutete.[18]

Stapfer zog im Sommer 1800 zusammen mit seiner Frau und seiner Familie nach Frankreich, wo er sich zuerst als Privatgelehrter betätigte und sich ab den 1820er Jahren, erneut mit der Vision zur Realisierung der „respublica ethica“, aktiv am französischen „Réveil“ [der französischen Erweckungsbewegung] beteiligte.[19] Am 27. März 1840 starb Philipp Albert Stapfer im Alter von 74 Jahren in Paris.[20]

 

Lorenz Theilkäs
 


[1] Rohr, Adolf, Philipp Albert Stapfer – Eine Biographie. Im alten Bern vom Ancien régime zur Revolution (1766-1798), Bern 1998, S. 13.

[2] Ebd., S. 14.

[3] Ebd., S. 69-139.

[4] Ebd., S. 233f.

[6] Stapfer, Philipp Albert, Die fruchtbarste Entwicklungsmethode der Anlagen des Menschen zufolge eines kritisch-philosophischen Entwurfs der Culturgeschichte unseres Geschlechts: in der Form einer Apologie für das Studium der classischen Werke des Alterthums, Bern 1792, S. 16.

[7] Bondeli, Martin, Kantianismus und Fichteanismus in Bern. Zur philosophischen Geistesgeschichte der Helvetik sowie zur Entstehung des nachkantischen Idealismus, Basel 2001, S. 216f.

[8] Stapfer lehnt sich dabei an Kants Konzepte von theoretischer und praktischer Vernunft sowie der zwischen beiden Instanzen vermittelnden Urteilskraft an. Vgl. Stapfer, Philipp Albert, De natura, conditore et incrementis Reipublicae Ethicae, Bern 1797, S. 1.

[9] Ebd., S. 8-16.

[10] Rohr, Philipp Albert Stapfer (wie Anm. 1), S. 245.

[11] Stapfer, De natura (wie Anm. 8), S. 42-50.

[12] Rohr, Adolf, Philipp Albert Stapfer. Minister der Helvetischen Republik und Gesandter der Schweiz in Paris 1798-1803, Baden 2005, S. 56f.

[13] Ebd., S. 58.

[14] Ebd., S. 36.

[15] Bütikofer, Anna, Staat und Wissen. Ursprünge des modernen schweizerischen Bildungssystems im Diskurs der Helvetischen Republik, Bern, Stuttgart, Wien 2006, S. 48-64.

[16] Fankhauser, Andreas, Die Zentralbehörden des helvetischen Einheitsstaates. Organisation und Funktionieren, in: Simon, Christian, Schluchter, André (Hgg.), Helvetik, neue Ansätze. Referate des Helvetik-Kolloquiums vom 4. April 1992 in Basel, Basel 1993, S. 41.

[17] Rohr, Minister (wie Anm. 12), S. 60-63.

[18] Ebd., S. 385.

[19] Bondeli, Kantianismus (wie Anm. 7), S. 156.

[20] Rohr, Minister (wie Anm. 12), S. 418.